Wenn die Intelligenz von sich selber träumt

[ Fri. Jan. 9. 2009 ]

Der Lieraturagent John Brockman, einer der Initiatoren der “Dritten Kultur“
Der Lieraturagent John Brockman, einer der Initiatoren der "Dritten Kultur"

Man steigt, heißt es, nicht zweimal in denselben Fluss. Aber man hofft doch, als derselbe ans Ufer zurückzukehren. Nur im Horizont dieses Bildes zeigt sich die Radikalität der Frage, die der Literaturagent John Brockman von der Organisation „Edge“ (Edge - die Website) der wissenschaftlichen Gemeinschaft vorgelegt hat: „Welche Entwicklung könnte zu Ihren Lebzeiten alles ändern?“ Wie zu jedem Jahreswechsel fordert Brockman mit seiner Frage auf der Website von Edge die Phantasie der Wissenschaftler heraus, den Mut zum großen Gedanken. Es antworten oft hochdekorierte Forscher wie Ian Wilmut, Craig Venter oder Daniel Dennett, die in (Natur-)Wissenschaftlern und Technikern und nicht mehr im Literaten oder Historikern den zeitgemäßen Typus des Intellektuellen sehen.

Fasst man den Grundtenor der mehr als einhundertfünfzig Antworten zusammen, so gehört die Zukunft den Genetikern, Neurobiologen und Informatikern oder jedenfalls solchen Wesen, die sich die Ergebnisse neurobiologischer, informationstechnologischer und genetischer Forschung zunutze machen. Ob sie noch sinnvollerweise Menschen genannt werden sollten, ist dabei eine berechtigte Frage.

Das intelligentere Wesen hat das Lebensrecht

Wer ist der Boss - Mensch oder Maschine?Wer ist der Boss - Mensch oder Maschine?

Der Mensch steht selbst mitten in dem grundstürzenden Wandel, taucht als hybrides Mensch-Maschinen-Wesen auf oder muss selbstreplikativen Maschinen weichen, an die manche, wie die Psychologin Susan Blackmore, den Stab übergeben möchten. Streng evolutionistisch gedacht, habe, wer intelligenter sei, und das würden die Maschinen einmal sein, auch das größere Lebensrecht. Um nicht einen ziellos vor sich hinwerkelnden Maschinenpark zu schaffen, wäre die Herausforderung, sie mit Willenskraft auszustatten.

Solchen Gedanken, die, würden sie samt und sonders in die Tat umgesetzt, einen kosmischen Schwindel hervorrufen würden, stehen in der Realität manche Hürden gegenüber. Wenn man die künftige Gesellschaftsordnung wie der Kognitionswissenschaftler Donald D. Hoffman auf der Grundlage voll funktionsfähiger Quantencomputer denkt, muss man schon voraussetzen, dass ihrer Anfertigung nicht grundlegende theoretische Probleme entgegenstehen.

Den Informatikern geht es vor allem um künstliche Intelligenz, die mit den Erkenntnissen der Lebenswissenschaften zusammengeführt werden soll, bis hin zu der Vorstellung, lebende Organismen als digitale Einheiten zu erfassen, was sie dann galaxisweit versendbar machen würde. Die Informationstheorie gibt sich gern so herrschsüchtig. Das Leben, so Neil Gershenfeld, sei besser als Algorithmus denn als Satz von Aminosäuren zu verstehen.

Nie mehr Trübsinn

Wirklichkeitsnäher sind die Änderungen, die man sich von der Reorganisation von Genen verspricht, die zu veränderten Lebensformen führen werde und es zunehmend erlaube, die Evolution in die eigene Hand zu nehmen.

Immer wieder fällt das Stichwort „Enhancement“, sei es durch Tiefenhirnstimulation, genetische Modifikation oder Pharmakologisierung. Seltener bahnt die psychophysische Verbesserung einen moralischen Fortschritt an, und wo es geschieht, bleiben die Überlegungen eindimensional. Die Neurowissenschaften sollen es etwa ermöglichen, Gehirnprozesse zu erkennen und zu blockieren, die für boshaftes Handeln verantwortlich sind.

Es würde, denkt man sich, sofern das noch Denken ist, eine Welt ohne Negativität entstehen, auch ohne Leid und Schmerz, denn Tiefenhirnstimulation, Medikamente oder genetische Modifikationen würden nicht nur schwere Krankheiten heilen, sondern auch den Trübsinn dauerhaft vertreiben.

Lügendetektoren für mehr Aufrichtigkeit

Die Reflexionen auf Fragen des Sinns und der gesellschaftlichen Ordnung greifen in der Regel kurz. Ein ökonomischer oder politischer Kurswechsel wird selten angedacht, es fehlen die Soziologen, Rechtswissenschaftler und klassischen Intellektuellen, die dazu Stellung bezögen.

Auch gesellschaftlicher Wandel ist immer direkte Folge technologischen Fortschritts. Eine tiefgreifende Veränderung der öffentlichen Moral erwartet man sich beispielsweise vom ubiquitären Einsatz von Lügendetektoren mit der Folge einer durchgängig aufrichtigen Gesellschaft. Herrliche Aussichten.

Die Lebensverlängerung bis hin zur Unsterblichkeit, vielfach als vorrangiges Ziel genannt, mit Inhalten zu füllen wird einem selbst überlassen bleiben. Wer in dieser Maschinenwelt beheimatet sein wird, wird wohl vor allem damit beschäftigt sein, mit Informationen umzugehen. Welche Gedanken er dabei mitzuteilen hat, war Informationstheoretikern schon immer zweitrangig. Wichtig ist zunächst, mehr Informationen über immer schnellere, direktere Kanäle weiterzugeben oder an der Verbesserungen der Bedingungen mitzuarbeiten, die für eine bessere Übertragung notwendig sind.

Das Comeback der Brieftaube?

Auf dem Weg zur optimalen Übertragung könnte man durch Gehirn-Computer-Schnittstellen lernen, Gedanken zu lesen und zu übertragen, wie der Physiker Freeman Dyson ausführt, müsste jedoch jederzeit die Möglichkeit haben, sich zum Schutz der Privatheit aus dem direkten Gedankenaustausch auszuklinken. Die wissenschaftlich-technischen Innovationen, die für diese Form der „Radiotelegraphie“ nötig sind, nehmen sich alles andere als bescheiden aus.

Wenn man sich in allem so stark auf die Technik verlässt, liegt in technischem Versagen auch die größte Gefahr. Der Wiener Physiker Anton Zeilinger sieht dementsprechend den größten möglichen Wandel in einem Zusammenbruch aller Computer aufgrund technischen Versagens. Auch dann wäre nicht alles geändert. Eine Legende besagt, dass das amerikanische Militär vorausschauend Brieftauben züchtet, um den Fluss der Informationen nicht vollkommen verebben zu lassen.

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